Expose

Sei nur du selbst und du wirst deinen Platz finden im menschlichen Ozean, in dem du treibst.– Zu dieser Erkenntnis gelangt Aussteiger Bernhard Wiesbeck, der sein vorgeplantes, wohlorganisiertes Leben aufgegeben hat, um nach etwas Neuem zu suchen. Zunächst versucht er sich als Tauchlehrer auf den Seychellen, dann richtet sich aber sein Blick auf das, was sich jenseits der Träume befindet. Kritisch setzt er sich mit Fragen um Liebe und Sex, Alkohol und Drogen, Hass und Freundschaft auseinander. Zurück zur Natur finden, sich selbst und die Grundelemente unseres Seins entdecken, empfiehlt der Autor all jenen, die weg von (echten und vermeintlichen) gesellschaftlichen Zwängen streben und eins werden wollen mit der Welt.

 

 

Vorwort

 

Je näher der Tag der Abreise kommt, umso einsamer wird man. Hat man sich doch all die Kritiken und Meinungen angehört: “Tu’ s nicht! Bist du verrückt? Was soll das! Was willst du damit beweisen? Ich wollt ich wär an deiner Stelle. Find’ ich cool. Hast du dir das genau überlegt? Ein Traum ist ein Traum und den sollte man nur träumen.” Und schon sitzt man voller Zweifel im Flugzeug Richtung Süden. Ohne Erwartungen ohne Hoffnungen - nein, ganz im Gegenteil - man hofft in der Fremde zu finden, was man Zuhause nicht gefunden hat. Ist es die Abenteuerlust, die Eintönigkeit des Gewohnten, die einen antreibt, oder ist es blanker Leichtsinn?

  Man ist auf der Suche nach etwas, das man zu Hause nicht findet, etwas das irgendwo in einem unbekannten Land in den Sand geschrieben steht, eine Wahrheit oder eine Weisheit, die neue Türen öffnet. Man sucht etwas, das alles, was man gelernt hat, unwichtig und sinnlos werden lässt. Oder ist der ganze Zirkus nur inszeniert, um auf Nummer Sicher zu gehen, dass man nichts übersehen hat während seiner Kindheit und Jugend? Gibt es in einer fremden Welt etwas Verborgenes, etwas Neues, das uns vorenthalten wurde? Vielleicht macht man so eine Reise auch nur, um - und das war mein Grund - nicht eines Morgens aufzuwachen und zu sagen: Was habe ich eigentlich die letzten zehn Jahre gemacht? Der zweite Grund war eine Angst in mir, eine Angst davor, von seinem Leben so überzeugt zu sein, dass man unbeugsam daran festhält, ohne zu erkennen, dass es eine andere Wahrheit, eine bessere Erkenntnis oder eine alles übergreifende Theorie gibt, die alles zunichte macht, woran man bisher geglaubt hat.

  Ich machte diese Reise, um mir Zeit zu nehmen, über das Leben nachzudenken und zu versuchen, nichts auszulassen, was wichtig sein könnte. Ich wollte nicht im hohen Alter von einer kleinen Rotznase eines Besseren belehrt werden.

  Als ich in meinem erwählten Exil ankam, fühlte ich mich wie neu geboren. Niemand kannte mich und ich konnte so sein, wie ich wollte, und niemand wunderte sich darüber. Es war, als wäre ich neu geboren. Eine zweite Chance - ein neues Leben. Der Drang danach, etwas Neues zu sehen und zu erleben, war stärker als jeder Zweifel. Der sture Blick nach vorne ließ die Vergangenheit verblassen und voller Erwartung in die Zukunft blicken. Es wurde eine Konfrontation meiner Vergangenheit, meines Glaubens und meiner eingeprägten Verhaltensmuster mit einer neuen, naturgebundenen Orientierung. Die Reise in ein fernes Land wurde zu einer Reise in mein tiefstes Inneres. Ich sah mich plötzlich selbst aus großer Ferne und kritisierte unbefangen meine eigene Welt, in der ich lebte.

 


Einleitung

 

Ich wuchs auf in einer Traumwelt von Märchen, Königen, Fernsehen, romantischen Filmen und Bacardi-Werbung. Ich glaubte an Karriere, an die Allmacht der Gesellschaft und an ein Leben nach dem Tod. Ich bewunderte große Persönlichkeiten, las über Königshäuser und träumte von einsamen tropischen Stränden. Mein Leben war eine kitschige Mischung von Träumereien, dem Glauben an Höheres und rückblickend erscheint es mir heute wie eine Persiflage fanatischer Oberflächlichkeit.

Heute sehe ich die Welt anders und nur weil ich meine Koffer gepackt habe und auf eine kleine tropische Insel gezogen bin. Per Zufall bin ich genau auf der Insel gelandet auf der die Bacardi-Werbung gedreht wurde. Being where you want to be on an island sipping on Bacardi Rum”. Diese Melodie war Teil meiner Weltanschauung. Die coolen Jungs und Mädchen die da auf der Leinwand an einem kühlen Glas Rum nippten, in Hängematten schaukelten und im Abendrot von einem Boot in die tropische See hechteten. Als ich als Kind die Filme von Hans Haas und Jacques Cousteau gesehen hatte, hätte ich es niemals für möglich gehalten, dass ich eines Tages an der Rückenflosse eines zehn Tonnen schweren Walhaies hängen würde und täglich Delphinen begegnen würde. Ich hätte auch niemals gedacht, dass ich mit Leni Riefenstahl einen Unterwasserfilm drehen würde. Als ich dann auch noch mit dem König von Schweden ein paar Tage auf See verbringen durfte, waren meine Träume gelebt und erlebt.

Ich war ein Aussteiger, ein Träumer, ein Phantast, der an eine Freiheit glaubte, und diese Freiheit lag irgendwo ganz weit weg auf einem fernen Kontinent. Ich glaubte an das zauberhafte Leben eines Königshauses. Ich glaubte auch an die Bacardi-Werbung. Das Leben als ein eitles Schauspiel.

Ich lebte auf einer kleinen Insel der Seychellen mitten im Indischen Ozean und betrieb dort eine Tauchbasis. All meine Kindheitsträume gingen in Erfüllung. Ich durfte an der original Bacardi-Werbung mitmachen. Ich kannte alle, die bei der Produktion mitmachten, den Fotographen, den Regisseur und die Models. Sie waren sehr nett, aber ein bisschen überspannt. Ich machte die Kameraleute für die Unterwasseraufnahmen mit der Tauchausrüstung vertraut. Doch leider wurde mir bei dieser Arbeit auch die Augenwischerei und die Scheinheiligkeit bewusst, die da betrieben wurde. Der perfekte Traum, der das Resultat der Filmaufnahmen sein sollte, sah in Wirklichkeit ganz anders aus. Die Holzhütte die da in den Strand gezimmert war und in der angeblich die Models ein unbekümmertes Leben führen, war voll mit Scheinwerfern, Plastikfolie und Kakerlaken. Die Models schliefen im nahegelegenen Hotel in klimatisierten Zimmern und wurden vor den Aufnahmen stundenlang gefönt und geschminkt. Die meiste Zeit verbrachte man mit Warten auf das richtige Licht, und gelächelt wurde nur während des Drehs. War ich nur so naiv, oder bin ich so blöd, oder bin ich der einzige, der nicht versteht um was es hier eigentlich geht. Augenwäscherei, Phantasien - glaubt noch jemand anders an den Schwachsinn, dass da wirklich ein paar junge Leute unbekümmert auf einer Tropeninsel leben und den ganzen Tag Bacardi trinken würden. Dieser Traum war ausgeträumt.

Ich machte in 5 Jahren 6000 Tauchgänge. Ich habe Ammenhaie gestreichelt, Delphine bei der Jagt zugesehen, Grauhaie bei der Paarung beobachtet, habe nächtelang nach Hummern getaucht. Ich habe so viele Walhaie gesehen, dass ich zum Schluss schon gar nicht mehr ins Wasser ging, um die tonnenschweren, zutraulichen Tiere zu streicheln. Der Reiz war völlig verloren. Es war Gewohnheit geworden. Während meiner täglichen Tauchausfahrten dachte ich an das Füllen der Tauchflaschen, an das Reparieren des Bootes und an den Nachmittag im dreckigen, verchlorten Swimmingpool.

Ich war ein Tauchprofi. Ich wusste schon, wenn jemand in meinen Tauchladen kam, ohne dass er ein Wort sagte, wie gut er taucht und welche Probleme er unter Wasser haben würde. Ich hatte alles im Griff, die Jungs, das Boot und die Gäste. Und so konnte das Ganze nun weitergehen bis zum Ende meines Lebens. Wenn ich Glück gehabt hätte, wäre ich vielleicht von einem Hai gefressen und so aus dieser Routine befreit worden. Es war alles so tragisch, so traurig. All meine Träume waren nur Einbildung, und was noch schlimmer war, sie waren so unwirklich geworden. Ich war so gut, dass Leni Riefenstahl auf meiner Tauchbasis fünf Wochen lang einen Unterwasserfilm drehte. Diese Frau war bemerkenswert. Mit über 90 Jahren war sie noch körperlich in der Lage täglich an unseren Tauchausfahrten teilzunehmen und eine 50 kg schwere Kamera zu bedienen. Ich hatte zwar ihren Namen schon mal gehört, aber wer sie war und was sie gemacht hatte, erfuhr ich erst später. Leni Riefenstahl machte in jungen Jahren Propagandafilme für das Dritte Reich und jetzt lebt sie in Jetset Milieu, reist von Land zu Land und macht  mit ihren 90 Jahren allen eine lange Nase. Sie hat alles zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt. Sie hat nie über richtig oder falsch nachgedacht und jetzt ist sie mit einem langen reichen Leben belohnt worden. Eins habe ich für mich daraus gelernt. Ich werde meinen Mund aufmachen, wenn mir etwas nicht gefällt, selbst wenn es weitreichende Konsequenzen für mich selbst hat. Mein Gewissen muss rein sein. Ich beuge mich nur einer ethischen Grundeinstellung. Es muss etwas Stärkeres geben als die Fänge unserer Gesellschaft.  Doch die Krönung meines Tauchlehrerdaseins war, dass mich der König von Schweden auf seine Jacht einlud, um mit ihm zu tauchen. Ich lernte die königliche Familie kennen. Allerdings stellte ich auch fest, dass es mich krank machen würde, wenn so viele Leute um mich herumschwänzeln würden. Waren da doch sechs persönliche Leibwächter, die ihn und die Familie rund um die Uhr bewachten. Der Strand wurde abgesperrt, wenn die königliche Familie baden wollte, und wenn der König und ich tauchten, war ständig ein motorisiertes Schlauchboot über uns und seine Leibwächter schnorchelten oder tauchten im Hintergrund. Die Hektik ging schon am Morgen los. Ich musste schon eine halbe Stunde vor Abfahrt der Jacht mit meiner Ausrüstung an Bord sein. Sobald sich der König mit seiner Wagenkolonne Richtung Hafen auf den Weg machte, wurde hektisch hin und her telefoniert. Jeder war furchtbar aufgeregt. Ich konnte diesen Aufstand wegen einer Person nicht verstehen. Mich würde dieses ewige Hin und Her und die ganzen Leute, die ständig versuchen, sich um mich zu kümmern, verrückt machen. Ich hatte immer so ein unangenehmes Kribbeln im Bauch. Ich war froh, als der Rummel nach ein paar Tagen vorbei war. Es war schön, wieder in die Ruhe und Anonymität meines Aussteigerdaseins zu schlüpfen.

Doch ich stellte fest, dass meine Träume zerplatzt waren. All das, was ich erreichen, sehen und erleben wollte, lag hinter mir. Die Welt war plötzlich nicht mehr wie früher. Die einstigen Träume waren keine mehr und neue gab es für mich nicht. Es gab nur noch mich selbst. Ich war übrig geblieben von all den Träumen, die wie im Rauch aufgegangen schienen. Ich stellte fest, die Welt war nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Alles war eigentlich anders als in meinen Träumen. Ich war doch immer noch derselbe, doch ohne meine Träume war alles anders, alles bekam einen neuen Stellenwert. Ich war allein ohne meine Träume und alles, woran ich je geglaubt hatte, wurde unwichtig. Nichts war mehr relevant. An dieser Stelle sollte man doch normalerweise sterben. An dieser Stelle enden doch normalerweise die Filme. Alles sollte doch glücklich sein. Seine Träume zu leben ist doch die Erfüllung des Lebens. Meine Bacardi-Welt und meine Märchenkönige waren verstummt.

In dieser Leere suchte ich nach etwas Neuem und ich versuchte, mein wahres Ich zu finden. In dieser Zeit entstand das Buch, das ich geschrieben habe. Es ist die Suche nach einer Welt “Jenseits der Träume”. War ich doch auf der Suche nach meinen oberflächlichen Träumen und endete wieder bei mir selbst. Und wie eine Sortiermaschine ratterte mein Gehirn und sortierte und ordnete all das, was ich gehört, gelesen und gelernt hatte, von Neuem.

Mit diesem Buch begab ich mich auf eine neuartige Reise. Es war die Suche nach dem, was uns ausfüllen oder erfüllen würde, wenn die Träume zu Seifenblasen werden. Vielleicht ist jeder auf der Suche nach seinen Träumen, und wenn er sie gefunden hat, werden sie Realität. Doch Träume haben mit der Realität nichts zu tun - oder etwa doch?

Auf jeden Fall ist ein Aussteiger jemand, der sein geplantes und organisiertes Leben verlässt um nach etwas Neuem, Aufregendem und Anderem zu suchen. Und die “Einsichten eines Aussteigers” gehen uns alle was an, denn wir alle sind auf der Suche nach unseren eigenen individuellen Träumen. Sind unsere Träume auch noch so verschieden, das, was wir jenseits unserer Träume finden, sollte sich ähneln und uns mehr verbinden als alles andere. Denn es ist die Tiefe unseres Seins, was uns verbindet. Unsere Träume jedoch trennen uns nur.

 

1. Kapitel:   Unsere menschliche Natur

  Warum ticken wir nicht richtig?

Wir Menschen kommen, wie auch einige Tierarten, hilflos zur Welt. Wir können selbständig atmen, und wenn wir müde sind, schlafen wir ein. Sind wir jedoch hungrig oder durstig, reagieren wir nur mit Schreien. Wir würden sterben, wenn uns unsere Mutter nach der Geburt allein lassen würde. Ihr Instinkt gebietet ihr, uns zu füttern und zu tränken. 

   In einem gewissen Alter wird das Jungtier von der Mutter verstoßen und muss auf seinen eigenen Instinkt vertrauen, um im Ökosystem seinen Platz einzunehmen. Was aber passiert mit uns Menschen?

   Sicherlich, auch wir haben Instinkte und vertrauen ihnen, um zu überleben. Unsere Mütter jedoch wollen uns nicht gehen lassen. Unsere Väter haben bereits unsere Zukunft verplant. Unsere Eltern sind der Überzeugung wir schulden ihnen etwas dafür, dass sie  sich um uns gekümmert haben.

   Warum nur?  

   Unser Leben soll anders verlaufen als das eines Tieres. Statt auf unseren Instinkt zu vertrauen, wird uns beigebracht, unserem Verstand zu folgen. An diesem Punkt beginnen nun unser ganzer Kummer und unser Dilemma. Wir erschaffen Vorstellungen, entwickeln Phantasien, gebären Träume und bilden auf diesen versteinerten Illusionen die Grundmauern unseres Lebens. Wir benötigen noch dazu eine Erziehung, um in unserer künstlich geschaffenen Gesellschaft zu überleben. Wir lernen nicht nur, an uns selbst zu denken, sondern auch an das, was um uns herum geschieht. Wir beobachten und studieren Verhaltensweisen. Wir schenken und fordern Vertrauen. Wir teilen, geben und nehmen. Wir beeinflussen, ändern und arrangieren. Wir wollen alles genau wissen und wissen doch, dass sich nichts genau fixieren lässt. Wir sind uns bewusst über Unglück und Tod und glauben an Bestimmung und Unsterblichkeit.

   Jeder Mensch entwickelt andere Vorlieben, Motivationen und Eigenschaften. Die unterschiedlichen Erfahrungen aus unserem Umfeld werden gespeichert, verarbeitet und interpretiert. Wir entwickeln Persönlichkeit und Intellekt.

   In Gegensatz zur Tierwelt, unterscheiden wir Menschen uns in unserem Wesen. Ein Tiger weiß, dass er jagen und Fleisch essen muss. Ein Vogel hat Flügel und benutzt sie zum Fliegen. Man findet keine Kühe auf den Bäumen oder Kuala Bären in der Antarktis. Wir Menschen können als Kühe verkleidet auf Bäume klettern, einen Kuala Bär in der Antarktis imitieren, wie ein Tiger rohes Fleisch essen oder uns wie ein Vogel in die Lüfte begeben. Es gibt für uns keine Grenzen.   

   Wir können werden, wer und was wir sein wollen, und manchmal werden wir das was andere aus uns machen. Aber wer soll festlegen, wer wir sein sollen, welche Rolle wir einnehmen sollen? Sind wir nicht alle gleich? Zumindest unsere Grundbedürfnisse sollten gleich sein: „Das Bedürfnis zu atmen, das Bedürfnis zu essen und zu trinken und der Zwang zu schlafen.“

   Wir werden also ein Teil unserer künstlich geschaffenen Gesellschaft mit ihren eigenen Regeln und ihren eigenen Gesetzen. Unser natürliches instinktives Verhalten wäre völlig fehl am Platze. Wir können nicht einfach trinken was wir sehen, es könnte jemandem gehören. Wir können nicht einfach jagen, das verstößt gegen das Gesetz und wir sollten besser in einem Haus schlafen, wenn wir nicht von der Polizei aufgesammelt werden wollen. Das Einzige was man gratis bekommt, ist die Atemluft, und weil sie umsonst ist, wird sie völlig ignoriert.

   Durch das Niederschreiben von Ereignissen erschaffen wir Unsterblichkeit. Wir erschaffen Macht durch das Wählen unserer Führer. Wir erfinden Maschinen, die zuverlässiger, effizienter, geistreicher und perfekter sind als wir selbst. Unsere Erfindungen werden zu einem perfekten Image unseres Egos. Wir Menschen aber sind keine Maschinen. Wir haben Gefühle und Emotionen. Wir sind nicht zuverlässig, aber wir werden aufgefordert, das zu werden, wovon wir träumen. Wir sind deshalb niemals zufrieden mit uns selbst. Unsere Bedürfnisse werden nie befriedigt, weil wir unsere Vorstellungen nie erreichen. Unser Körper erfüllt nicht unsere hohen Erwartungen und wir werden zu Versagern. Und wie reagieren wir auf Versagen? Wir versuchen es zu ignorieren, zu verleugnen und verdrängen die Realität.

   Unsere Atmung gerät außer Kontrolle und wir provozieren sie weiter mit Zigaretten und Drogen. Wir stillen unseren Durst mit alkoholhaltigen Getränken und gefärbten Zuckerwasser. Unser Hunger wird gestillt mit künstlichem, sterilem Tütenzauber und steigert unser Verlangen nach Drogen und Stimulanzien noch mehr. Schlafen wird zum notwendigen Übel und es ist eine Qual einzuschlafen und eine Tortur aufzustehen. Aber zur Not gibt es Schlaftabletten und Aufputscher.   

   Unser Verhalten wird so künstlich wie unsere Gesellschaft. Und was machen wir? Wie bekämpfen wir es? Wir suchen nach dem perfekten Heilmittel. Wir lesen Gesundheitsbücher; wir reisen; wir stopfen uns mit Informationen voll; wir werden versessen darauf zu kommunizieren und versuchen, unser Verhalten zu kontrollieren. Wir zwingen uns zu Bewegung und Meditation - und zuletzt müssen wir doch noch Schafe zählen, um einzuschlafen.

 

Und wir stellen uns die Frage: „Warum ticken wir nicht richtig?“

 

 

Warum nicht an Gott glauben?

  Es gibt so viele Theorien über Religionen, Götter und warum die Menschen glauben, dass niemand wirklich die Zeit findet, darüber nachzudenken, an was er nun wirklich glauben will. Deshalb glauben wir einfach an dasselbe wie die Menschen um uns herum.

   Wir kommen nackt und hilflos auf diese Welt. Wir empfinden Abhängigkeit gegenüber den Leuten, die uns ernähren, kleiden und uns Unterkunft gewähren. Mit zunehmenden Alter beginnen wir diese Abhängigkeit zu verabscheuen und versuchen ihr zu entfliehen. Es entsteht nun das Problem, dass wir einerseits glücklich sind, eigenverantwortlich  zu sein, aber andererseits feststellen, dass die Abhängigkeit einige Reize zu bieten hatte. Wir mussten tun, was man uns sagte, aber das gab uns auch eine gewisse Stabilität. Wir konnten nicht frei entscheiden, dafür war unser Leben aber unbeschwert.

   Nach wie viel Freiheit wir Menschen auch streben, jeder braucht ein bisschen Schutz und Sicherheit. Das ist eine natürliche Haltung. Bis zu einem gewissen Grad mag es jeder, wenn er bevormundet wird, weil wir es alle von unserer Kindheit her kennen. Während wir unsere Erinnerungen auffrischen, laufen wir Gefahr, auf den Pfad der Abhängigkeiten zurückzufallen. Wir können vorgeben, selbst bestimmend zu sein. Wir offenbaren unsere eigenen Einstellungen, unseren eigenen Geist und unser eigenes Selbstbewusstsein.  Sind wir jedoch alleine, verkommen wir vor Selbstmitleid und suchen nach Wärme und Kraft von außen. Bleiben sie uns versagt, unterdrücken wir unserer Nöte und stimulieren unsere Sinne mit Zigaretten, Alkohol und Drogen.

   Gott ist ja so verständnisvoll. Wir können voll von Rassenhass sein (wir stellen uns eh vor, Gott sei weiß und es macht ihm wahrscheinlich eh nichts aus). Wir können töten (es kann ein heiliger Krieg sein - warum nicht). Wir können die Ungläubigen verdammen und die Verhexten verbrennen. Gott kann uns alle Sünden vergeben. Er ist so handlich und immer auf unserer Seite. Wir machen Gott unsterblich und dafür befriedigt er unsere Vorstellungen und erfüllt unsere Phantasien, Träume und Illusionen. Und falls er alldem nicht zu unser Lebenszeit gerecht wird, so wird er uns nach dem Tod mit allem Versäumten verwöhnen. Der Gläubige wird belohnt werden. Vertraue auf Gott. Wer oder was kann mit solch einer Großzügigkeit konkurrieren? Selbst wenn es diese völlige Abhängigkeit von uns verlangt, von der wir ursprünglich versuchten loszukommen. Wer aber ist größer: „Der schrecklichste Tyrann oder derjenige der Ihm vergibt“? Welch heilige Welt die wir uns geschaffen haben.

   Wir können genauso gut zur anderen Seite der Gesellschaft gehören. Dann werden wir zu Kriminellen, Mördern, Drogenhändlern und üblen Elementen die, die Harmonie der Gesellschaft bedrohen. Wir wissen genau, dass es nur ein kleiner Schritt ist von Gut nach Böse und von Liebe zu Hass. Aus diesem Grund verurteilen wir die dunkle Seite des Seins. Wir bestätigen täglich mit unseren Anschuldigungen und unserer Selbstgerechtigkeit, dass wir auf der richtigen Seite des Lebens stehen und wir versuchen laufend alle anderen davon zu überzeugen, dass wir letztendlich doch „gut“ sind. Je mehr Menschen wir auf unserer Seite haben, um so sicherer fühlen wir uns und so mehr sind wir versichert, dass unser Leben in Ordnung ist. Bis der große Niederfall kommt und du herausfindest, dass es nicht ganz richtig war Millionen von Juden zu vernichten, andere Konfessionen zu verdammen und Nationen in den Krieg zu führen.

   Wir sind ein Teil einer künstlichen Gesellschaft und wir sind ein Teil des Guten und ein Teil des Bösen. Wir können aufwachsen mit einem ständig betrunkenen Vater und einer Prostituierten als Mutter und wir werden genauso sein wie sie.

   Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass jeder von uns dafür verantwortlich ist, unterschiedliche Meinungen und Haltungen zu schaffen, manchmal einfach nur durch hartnäckiges Beharren auf eigenen Meinungen. Es muss dafür Gesetze geben. Aber warum?

   Ein Tier tötet, wenn es hungrig ist, und es ist friedfertig, wenn sein Magen voll ist. Wir stopfen uns so voll, dass wir uns kaum bewegen können, und sind immer noch bereit, mehr zu töten. Unser Instinkt ist verkrüppelt und nicht mehr in der Lage, uns zu leiten. Wir erschaffen unsere eigenen Instinkte. Wir entwickeln Hass, Sadismus, Masochismus. Wir belästigen Kinder und Tiere sexuell. Wir beharren auf dem Recht, homosexuell zu sein.

   Lass es, wie es ist, sagen wir uns. Es ist Teil unserer Gesellschaft. Jeder von uns hat seinen Beitrag dazu geleistet. Ich genauso wie du. Also beschwere dich nicht. Akzeptiere es. Eventuell unter der Rubrik „Wunder der Natur“.

   Oder handelt es sich etwa um Protest? Dass wir tief in uns gegen die Gesellschaft protestieren. Wir wollen anders sein. Wir wollen sagen: „Niemand kann uns zu einem Teil der Gesellschaft machen. Wir werden immer andersartig sein und wir werden jeden davon überzeugen.“ Unsere Gesellschaft jedoch ist erbarmungslos mit seinen Feinden, genauso wie in der Tierwelt. Wenn du nicht ins Ökosystem passt wirst du unerbittlich ausgerottet. Oder, treffender ausgedrückt, rehabilitiert, gerichtet oder genötigt, dich nach den Richtlinien der Gesellschaft zu verhalten.

   Auf jeden Fall ist eines klar: Es ist leichter, solche Sachen von Gott richten zu lassen. Wenn er uns befiehlt zu töten, töten wir. Wenn er uns befiehlt zu verdammen, verdammen wir. Wenn er uns befiehlt zu vergeben, vergeben wir. Zumindest wissen wir dann, dass wir das Richtige tun im Namen Gottes. Und wenn es doch falsch war...? Wie kann sich ein Gott irren? Und hat sich Gott wirklich geirrt, so haben sich Millionen von anderen Menschen mit uns geirrt. Nichtsdestotrotz können wir es in ein Geschichtsbuch schreiben und die nächste Generation darüber diskutieren lassen.

   Wenn wir unsere Gesellschaft nicht beeinflussen wollen, verweigern zu diskutieren und nachzudenken, können wir immer noch daran glauben, dass alles vom Schicksal abhängig ist, dass wir eh nichts ändern können. Oder wir glauben einfach daran wiedergeboren zu werden. Wir sind nur Reisende, die diese Welt passieren, um wiedergeboren zu werden, als eine bessere oder schlechtere Person oder Sache, abhängig von unserem Verhalten. Das ist äußerst beängstigend und gefährlich, weil das Leben an sich selbst keine Bedeutung mehr hat. Du kannst es weggeben wie eine Spielmünze am Roulettetisch. Wenn du gewinnst, wirst du reicher; wenn du verlierst, bekommst du vielleicht eine neue Chance im nächsten Leben. Es spielt also keine Rolle.

   Wie aber kann jemand mit Sicherheit vorhersagen, was aus uns wird, wenn wir sterben? Mit welcher Begründung kann jemand behaupten, es gibt eine höhere Ebene von Existenz? Niemand weis es genau, aber wir können daran glauben, genau so wie kleine Kinder an Märchen, Riesen und Magier glauben. Und wie wundervoll: Der Kreis ist geschlossen. Wir können für immer Kinder bleiben.

 

Also warum nicht an Gott glauben?

Ende der Leseprobe!

Ab sofort überall im Buchhandel erhältlich:

Wiesbeck, Bernhard - Jenseits der Träume

144 Seiten, EUR 8.40/sFr. 16.80  

Bestellnummer: ISBN 3-8280-1535-2

 

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