Sei nur du selbst und du wirst deinen Platz finden im menschlichen Ozean, in dem du treibst.– Zu dieser Erkenntnis gelangt Aussteiger Bernhard Wiesbeck, der sein vorgeplantes, wohlorganisiertes Leben aufgegeben hat, um nach etwas Neuem zu suchen. Zunächst versucht er sich als Tauchlehrer auf den Seychellen, dann richtet sich aber sein Blick auf das, was sich jenseits der Träume befindet. Kritisch setzt er sich mit Fragen um Liebe und Sex, Alkohol und Drogen, Hass und Freundschaft auseinander. Zurück zur Natur finden, sich selbst und die Grundelemente unseres Seins entdecken, empfiehlt der Autor all jenen, die weg von (echten und vermeintlichen) gesellschaftlichen Zwängen streben und eins werden wollen mit der Welt.
Je
näher der Tag der Abreise kommt, umso einsamer wird man. Hat man sich doch all
die Kritiken und Meinungen angehört: “Tu’ s nicht! Bist du verrückt? Was
soll das! Was willst du damit beweisen? Ich wollt ich wär an deiner Stelle. Find’
ich cool. Hast du dir das genau überlegt?
Ein Traum ist ein Traum und den sollte man nur träumen.” Und schon sitzt man
voller Zweifel im Flugzeug Richtung Süden. Ohne Erwartungen ohne Hoffnungen -
nein, ganz im Gegenteil - man hofft in der Fremde zu finden, was man Zuhause
nicht gefunden hat. Ist es die Abenteuerlust, die Eintönigkeit des Gewohnten,
die einen antreibt, oder ist es blanker Leichtsinn?
Ich
wuchs auf in einer Traumwelt von Märchen, Königen, Fernsehen, romantischen
Filmen und Bacardi-Werbung. Ich glaubte an Karriere, an die Allmacht der
Gesellschaft und an ein Leben nach dem Tod. Ich bewunderte große Persönlichkeiten,
las über Königshäuser und träumte von einsamen tropischen Stränden. Mein
Leben war eine kitschige Mischung von Träumereien, dem Glauben an Höheres und
rückblickend erscheint es mir heute wie eine Persiflage fanatischer Oberflächlichkeit.
Heute
sehe ich die Welt anders und nur weil ich meine Koffer gepackt habe und auf eine
kleine tropische Insel gezogen bin. Per Zufall bin ich genau auf der Insel
gelandet auf der die Bacardi-Werbung gedreht wurde. “Being where you want to be on an island sipping on Bacardi Rum”. Diese
Melodie war Teil meiner Weltanschauung. Die coolen Jungs und Mädchen die da auf
der Leinwand an einem kühlen Glas Rum nippten, in Hängematten schaukelten und
im Abendrot von einem Boot in die tropische See hechteten. Als ich als Kind die
Filme von Hans Haas und Jacques Cousteau gesehen hatte, hätte ich es niemals für
möglich gehalten, dass ich eines Tages an der Rückenflosse eines zehn Tonnen
schweren Walhaies hängen würde und täglich Delphinen begegnen würde. Ich hätte
auch niemals gedacht, dass ich mit Leni Riefenstahl einen Unterwasserfilm drehen
würde. Als ich dann auch noch mit dem König von Schweden ein paar Tage auf See
verbringen durfte, waren meine Träume gelebt und erlebt.
Ich
war ein Aussteiger, ein Träumer, ein Phantast, der an eine Freiheit glaubte,
und diese Freiheit lag irgendwo ganz weit weg auf einem fernen Kontinent. Ich
glaubte an das zauberhafte Leben eines Königshauses. Ich glaubte auch an die
Bacardi-Werbung. Das Leben als ein eitles Schauspiel.
Ich
lebte auf einer kleinen Insel der Seychellen mitten im Indischen Ozean und
betrieb dort eine Tauchbasis. All meine Kindheitsträume gingen in Erfüllung.
Ich durfte an der original Bacardi-Werbung mitmachen. Ich kannte alle, die bei
der Produktion mitmachten, den Fotographen, den Regisseur und die Models. Sie
waren sehr nett, aber ein bisschen überspannt. Ich machte die Kameraleute für
die Unterwasseraufnahmen mit der Tauchausrüstung vertraut. Doch leider wurde
mir bei dieser Arbeit auch die Augenwischerei und die Scheinheiligkeit bewusst,
die da betrieben wurde. Der perfekte Traum, der das Resultat der Filmaufnahmen
sein sollte, sah in Wirklichkeit ganz anders aus. Die Holzhütte die da in den
Strand gezimmert war und in der angeblich die Models ein unbekümmertes Leben führen,
war voll mit Scheinwerfern, Plastikfolie und Kakerlaken. Die Models schliefen im
nahegelegenen Hotel in klimatisierten Zimmern und wurden vor den Aufnahmen
stundenlang gefönt und geschminkt. Die meiste Zeit verbrachte man mit Warten
auf das richtige Licht, und gelächelt wurde nur während des Drehs. War ich nur
so naiv, oder bin ich so blöd, oder bin ich der einzige, der nicht versteht um
was es hier eigentlich geht. Augenwäscherei, Phantasien - glaubt noch jemand
anders an den Schwachsinn, dass da wirklich ein paar junge Leute unbekümmert
auf einer Tropeninsel leben und den ganzen Tag Bacardi trinken würden. Dieser
Traum war ausgeträumt.
Ich
machte in 5 Jahren 6000 Tauchgänge. Ich habe Ammenhaie gestreichelt, Delphine
bei der Jagt zugesehen, Grauhaie bei der Paarung beobachtet, habe nächtelang
nach Hummern getaucht. Ich habe so viele Walhaie gesehen, dass ich zum Schluss
schon gar nicht mehr ins Wasser ging, um die tonnenschweren, zutraulichen Tiere
zu streicheln. Der Reiz war völlig verloren. Es war Gewohnheit geworden. Während
meiner täglichen Tauchausfahrten dachte ich an das Füllen der Tauchflaschen,
an das Reparieren des Bootes und an den Nachmittag im dreckigen, verchlorten
Swimmingpool.
Ich
war ein Tauchprofi. Ich wusste schon, wenn jemand in meinen Tauchladen kam, ohne
dass er ein Wort sagte, wie gut er taucht und welche Probleme er unter Wasser
haben würde. Ich hatte alles im Griff, die Jungs, das Boot und die Gäste. Und
so konnte das Ganze nun weitergehen bis zum Ende meines Lebens. Wenn ich Glück
gehabt hätte, wäre ich vielleicht von einem Hai gefressen und so aus dieser
Routine befreit worden. Es war alles so tragisch, so traurig. All meine Träume
waren nur Einbildung, und was noch schlimmer war, sie waren so unwirklich
geworden. Ich war so gut, dass Leni Riefenstahl auf meiner Tauchbasis fünf
Wochen lang einen Unterwasserfilm drehte. Diese Frau war bemerkenswert. Mit über
90 Jahren war sie noch körperlich in der Lage täglich an unseren
Tauchausfahrten teilzunehmen und eine 50 kg schwere Kamera zu bedienen. Ich
hatte zwar ihren Namen schon mal gehört, aber wer sie war und was sie gemacht
hatte, erfuhr ich erst später. Leni Riefenstahl machte in jungen Jahren
Propagandafilme für das Dritte Reich und jetzt lebt sie in Jetset Milieu, reist
von Land zu Land und macht mit ihren 90 Jahren allen eine lange Nase. Sie
hat alles zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt. Sie hat nie über richtig oder
falsch nachgedacht und jetzt ist sie mit einem langen reichen Leben belohnt
worden. Eins habe ich für mich daraus gelernt. Ich werde meinen Mund aufmachen,
wenn mir etwas nicht gefällt, selbst wenn es weitreichende Konsequenzen für
mich selbst hat. Mein Gewissen muss rein sein. Ich beuge mich nur einer
ethischen Grundeinstellung. Es muss etwas Stärkeres geben als die Fänge
unserer Gesellschaft. Doch die Krönung
meines Tauchlehrerdaseins war, dass mich der König von Schweden auf seine Jacht
einlud, um mit ihm zu tauchen. Ich lernte die königliche Familie kennen.
Allerdings stellte ich auch fest, dass es mich krank machen würde, wenn so
viele Leute um mich herumschwänzeln würden. Waren da doch sechs persönliche
Leibwächter, die ihn und die Familie rund um die Uhr bewachten. Der Strand
wurde abgesperrt, wenn die königliche Familie baden wollte, und wenn der König
und ich tauchten, war ständig ein motorisiertes Schlauchboot über uns und
seine Leibwächter schnorchelten oder tauchten im Hintergrund. Die Hektik ging
schon am Morgen los. Ich musste schon eine halbe Stunde vor Abfahrt der Jacht
mit meiner Ausrüstung an Bord sein. Sobald sich der König mit seiner
Wagenkolonne Richtung Hafen auf den Weg machte, wurde hektisch hin und her
telefoniert. Jeder war furchtbar aufgeregt. Ich konnte diesen Aufstand wegen
einer Person nicht verstehen. Mich würde dieses ewige Hin und Her und die
ganzen Leute, die ständig versuchen, sich um mich zu kümmern, verrückt
machen. Ich hatte immer so ein unangenehmes Kribbeln im Bauch. Ich war froh, als
der Rummel nach ein paar Tagen vorbei war. Es war schön, wieder in die Ruhe und
Anonymität meines Aussteigerdaseins zu schlüpfen.
Doch
ich stellte fest, dass meine Träume zerplatzt waren. All das, was ich
erreichen, sehen und erleben wollte, lag hinter mir. Die Welt war plötzlich
nicht mehr wie früher. Die einstigen Träume waren keine mehr und neue gab es für
mich nicht. Es gab nur noch mich selbst. Ich war übrig geblieben von all den Träumen,
die wie im Rauch aufgegangen schienen. Ich stellte fest, die Welt war nicht so,
wie ich sie mir vorgestellt hatte. Alles war eigentlich anders als in meinen Träumen.
Ich war doch immer noch derselbe, doch ohne meine Träume war alles anders,
alles bekam einen neuen Stellenwert. Ich war allein ohne meine Träume und alles,
woran ich je geglaubt hatte, wurde unwichtig. Nichts war mehr relevant. An
dieser Stelle sollte man doch normalerweise sterben. An dieser Stelle enden doch
normalerweise die Filme. Alles sollte doch glücklich sein. Seine Träume zu
leben ist doch die Erfüllung des Lebens. Meine Bacardi-Welt und meine Märchenkönige
waren verstummt.
In
dieser Leere suchte ich nach etwas Neuem und ich versuchte, mein wahres Ich zu
finden. In dieser Zeit entstand das Buch, das ich geschrieben habe. Es ist die
Suche nach einer Welt “Jenseits der Träume”. War ich doch auf der Suche
nach meinen oberflächlichen Träumen und endete wieder bei mir selbst. Und wie
eine Sortiermaschine ratterte mein Gehirn und sortierte und ordnete all das, was
ich gehört, gelesen und gelernt hatte, von Neuem.
Mit
diesem Buch begab ich mich auf eine neuartige Reise. Es war die Suche nach dem,
was uns ausfüllen oder erfüllen würde, wenn die Träume zu Seifenblasen
werden. Vielleicht ist jeder auf der Suche nach seinen Träumen, und wenn er sie
gefunden hat, werden sie Realität. Doch Träume haben mit der Realität nichts
zu tun - oder etwa doch?
Auf
jeden Fall ist ein Aussteiger jemand, der sein geplantes und organisiertes Leben
verlässt um nach etwas Neuem, Aufregendem und Anderem zu suchen. Und die
“Einsichten eines Aussteigers” gehen uns alle was an, denn wir alle sind auf
der Suche nach unseren eigenen individuellen Träumen. Sind unsere Träume auch
noch so verschieden, das, was wir jenseits unserer Träume finden, sollte sich
ähneln und uns mehr verbinden als alles andere. Denn es ist die Tiefe unseres
Seins, was uns verbindet. Unsere Träume jedoch trennen uns nur.
1.
Kapitel: Unsere menschliche
Natur
Wir
Menschen kommen, wie auch einige Tierarten, hilflos zur Welt. Wir können selbständig
atmen, und wenn wir müde sind, schlafen wir ein. Sind wir jedoch hungrig oder
durstig, reagieren wir nur mit Schreien. Wir würden sterben, wenn uns unsere
Mutter nach der Geburt allein lassen würde. Ihr Instinkt gebietet ihr, uns zu füttern
und zu tränken.
In einem gewissen Alter wird das Jungtier von der Mutter verstoßen und
muss auf seinen eigenen Instinkt vertrauen, um im Ökosystem seinen Platz
einzunehmen. Was aber passiert mit uns Menschen?
Sicherlich, auch wir haben Instinkte und vertrauen ihnen, um zu überleben.
Unsere Mütter jedoch wollen uns nicht gehen lassen. Unsere Väter haben bereits
unsere Zukunft verplant. Unsere Eltern sind der Überzeugung wir schulden ihnen
etwas dafür, dass sie sich um uns
gekümmert haben.
Warum nur?
Unser Leben soll anders verlaufen als das eines Tieres. Statt auf unseren
Instinkt zu vertrauen, wird uns beigebracht, unserem Verstand zu folgen. An
diesem Punkt beginnen nun unser ganzer Kummer und unser Dilemma. Wir erschaffen
Vorstellungen, entwickeln Phantasien, gebären Träume und bilden auf diesen
versteinerten Illusionen die Grundmauern unseres Lebens. Wir benötigen noch
dazu eine Erziehung, um in unserer künstlich geschaffenen Gesellschaft zu überleben.
Wir lernen nicht nur, an uns selbst zu denken, sondern auch an das, was um uns
herum geschieht. Wir beobachten und studieren Verhaltensweisen. Wir schenken und
fordern Vertrauen. Wir teilen, geben und nehmen. Wir beeinflussen, ändern und
arrangieren. Wir wollen alles genau wissen und wissen doch, dass sich nichts
genau fixieren lässt. Wir sind uns bewusst über Unglück und Tod und glauben
an Bestimmung und Unsterblichkeit.
Jeder Mensch entwickelt andere Vorlieben, Motivationen und Eigenschaften.
Die unterschiedlichen Erfahrungen aus unserem Umfeld werden gespeichert,
verarbeitet und interpretiert. Wir entwickeln Persönlichkeit und Intellekt.
In Gegensatz zur Tierwelt, unterscheiden wir Menschen uns in unserem
Wesen. Ein Tiger weiß, dass er jagen und Fleisch essen muss. Ein Vogel hat Flügel
und benutzt sie zum Fliegen. Man findet keine Kühe auf den Bäumen oder Kuala Bären
in der Antarktis. Wir Menschen können als Kühe verkleidet auf Bäume klettern,
einen Kuala Bär in der Antarktis imitieren, wie ein Tiger rohes Fleisch essen
oder uns wie ein Vogel in die Lüfte begeben. Es gibt für uns keine Grenzen.
Wir können werden, wer und was wir sein wollen, und manchmal werden wir
das was andere aus uns machen. Aber wer soll festlegen, wer wir sein sollen,
welche Rolle wir einnehmen sollen? Sind wir nicht alle gleich? Zumindest unsere
Grundbedürfnisse sollten gleich sein: „Das Bedürfnis zu atmen, das Bedürfnis
zu essen und zu trinken und der Zwang zu schlafen.“
Wir werden also ein Teil unserer künstlich geschaffenen Gesellschaft mit
ihren eigenen Regeln und ihren eigenen Gesetzen. Unser natürliches instinktives
Verhalten wäre völlig fehl am Platze. Wir können nicht einfach trinken was
wir sehen, es könnte jemandem gehören. Wir können nicht einfach jagen, das
verstößt gegen das Gesetz und wir sollten besser in einem Haus schlafen, wenn
wir nicht von der Polizei aufgesammelt werden wollen. Das Einzige was man gratis
bekommt, ist die Atemluft, und weil sie umsonst ist, wird sie völlig ignoriert.
Durch das Niederschreiben von Ereignissen erschaffen wir Unsterblichkeit.
Wir erschaffen Macht durch das Wählen unserer Führer. Wir erfinden Maschinen,
die zuverlässiger, effizienter, geistreicher und perfekter sind als wir selbst.
Unsere Erfindungen werden zu einem perfekten Image unseres Egos. Wir Menschen
aber sind keine Maschinen. Wir haben Gefühle und Emotionen. Wir sind nicht
zuverlässig, aber wir werden aufgefordert, das zu werden, wovon wir träumen.
Wir sind deshalb niemals zufrieden mit uns selbst. Unsere Bedürfnisse werden
nie befriedigt, weil wir unsere Vorstellungen nie erreichen. Unser Körper erfüllt
nicht unsere hohen Erwartungen und wir werden zu Versagern. Und wie reagieren
wir auf Versagen? Wir versuchen es zu ignorieren, zu verleugnen und verdrängen
die Realität.
Unsere Atmung gerät außer Kontrolle und wir provozieren sie weiter mit
Zigaretten und Drogen. Wir stillen unseren Durst mit alkoholhaltigen Getränken
und gefärbten Zuckerwasser. Unser Hunger wird gestillt mit künstlichem,
sterilem Tütenzauber und steigert unser Verlangen nach Drogen und Stimulanzien
noch mehr. Schlafen wird zum notwendigen Übel und es ist eine Qual
einzuschlafen und eine Tortur aufzustehen. Aber zur Not gibt es Schlaftabletten
und Aufputscher.
Unser Verhalten wird so künstlich wie unsere Gesellschaft. Und was
machen wir? Wie bekämpfen wir es? Wir suchen nach dem perfekten Heilmittel. Wir
lesen Gesundheitsbücher; wir reisen; wir stopfen uns mit Informationen voll;
wir werden versessen darauf zu kommunizieren und versuchen, unser Verhalten zu
kontrollieren. Wir zwingen uns zu Bewegung und Meditation - und zuletzt müssen
wir doch noch Schafe zählen, um einzuschlafen.
Und
wir stellen uns die Frage: „Warum ticken wir nicht richtig?“
Warum
nicht an Gott glauben?
Wir kommen nackt und hilflos auf diese Welt. Wir empfinden Abhängigkeit
gegenüber den Leuten, die uns ernähren, kleiden und uns Unterkunft gewähren.
Mit zunehmenden Alter beginnen wir diese Abhängigkeit zu verabscheuen und
versuchen ihr zu entfliehen. Es entsteht nun das Problem, dass wir einerseits glücklich
sind, eigenverantwortlich zu sein,
aber andererseits feststellen, dass die Abhängigkeit einige Reize zu bieten
hatte. Wir mussten tun, was man uns sagte, aber das gab uns auch eine gewisse
Stabilität. Wir konnten nicht frei entscheiden, dafür war unser Leben aber
unbeschwert.
Nach wie viel Freiheit wir Menschen auch streben, jeder braucht ein
bisschen Schutz und Sicherheit. Das ist eine natürliche Haltung. Bis zu einem
gewissen Grad mag es jeder, wenn er bevormundet wird, weil wir es alle von
unserer Kindheit her kennen. Während wir unsere Erinnerungen auffrischen,
laufen wir Gefahr, auf den Pfad der Abhängigkeiten zurückzufallen. Wir können
vorgeben, selbst bestimmend zu sein. Wir offenbaren unsere eigenen
Einstellungen, unseren eigenen Geist und unser eigenes Selbstbewusstsein.
Sind wir jedoch alleine, verkommen wir vor Selbstmitleid und suchen nach
Wärme und Kraft von außen. Bleiben sie uns versagt, unterdrücken wir unserer
Nöte und stimulieren unsere Sinne mit Zigaretten, Alkohol und Drogen.
Gott ist ja so verständnisvoll. Wir können voll von Rassenhass sein
(wir stellen uns eh vor, Gott sei weiß und es macht ihm wahrscheinlich eh
nichts aus). Wir können töten (es kann ein heiliger Krieg sein - warum nicht).
Wir können die Ungläubigen verdammen und die Verhexten verbrennen. Gott kann
uns alle Sünden vergeben. Er ist so handlich und immer auf unserer Seite. Wir
machen Gott unsterblich und dafür befriedigt er unsere Vorstellungen und erfüllt
unsere Phantasien, Träume und Illusionen. Und falls er alldem nicht zu unser
Lebenszeit gerecht wird, so wird er uns nach dem Tod mit allem Versäumten verwöhnen.
Der Gläubige wird belohnt werden. Vertraue auf Gott. Wer oder was kann mit
solch einer Großzügigkeit konkurrieren? Selbst wenn es diese völlige Abhängigkeit
von uns verlangt, von der wir ursprünglich versuchten loszukommen. Wer aber ist
größer: „Der schrecklichste Tyrann oder derjenige der Ihm vergibt“? Welch
heilige Welt die wir uns geschaffen haben.
Wir können genauso gut zur anderen Seite der Gesellschaft gehören. Dann
werden wir zu Kriminellen, Mördern, Drogenhändlern und üblen Elementen die,
die Harmonie der Gesellschaft bedrohen. Wir wissen genau, dass es nur ein
kleiner Schritt ist von Gut nach Böse und von Liebe zu Hass. Aus diesem Grund
verurteilen wir die dunkle Seite des Seins. Wir bestätigen täglich mit unseren
Anschuldigungen und unserer Selbstgerechtigkeit, dass wir auf der richtigen
Seite des Lebens stehen und wir versuchen laufend alle anderen davon zu überzeugen,
dass wir letztendlich doch „gut“ sind. Je mehr Menschen wir auf unserer
Seite haben, um so sicherer fühlen wir uns und so mehr sind wir versichert,
dass unser Leben in Ordnung ist. Bis der große Niederfall kommt und du
herausfindest, dass es nicht ganz richtig war Millionen von Juden zu vernichten,
andere Konfessionen zu verdammen und Nationen in den Krieg zu führen.
Wir sind ein Teil einer künstlichen Gesellschaft und wir sind ein Teil
des Guten und ein Teil des Bösen. Wir können aufwachsen mit einem ständig
betrunkenen Vater und einer Prostituierten als Mutter und wir werden genauso
sein wie sie.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass jeder von uns dafür
verantwortlich ist, unterschiedliche Meinungen und Haltungen zu schaffen,
manchmal einfach nur durch hartnäckiges Beharren auf eigenen Meinungen. Es muss
dafür Gesetze geben. Aber warum?
Ein Tier tötet, wenn es hungrig ist, und es ist friedfertig, wenn sein
Magen voll ist. Wir stopfen uns so voll, dass wir uns kaum bewegen können, und
sind immer noch bereit, mehr zu töten. Unser Instinkt ist verkrüppelt und
nicht mehr in der Lage, uns zu leiten. Wir erschaffen unsere eigenen Instinkte.
Wir entwickeln Hass, Sadismus, Masochismus. Wir belästigen Kinder und Tiere
sexuell. Wir beharren auf dem Recht, homosexuell zu sein.
Lass es, wie es ist, sagen wir uns. Es ist Teil unserer Gesellschaft.
Jeder von uns hat seinen Beitrag dazu geleistet. Ich genauso wie du. Also
beschwere dich nicht. Akzeptiere es. Eventuell unter der Rubrik „Wunder der
Natur“.
Oder handelt es sich etwa um Protest? Dass wir tief in uns gegen die
Gesellschaft protestieren. Wir wollen anders sein. Wir wollen sagen: „Niemand
kann uns zu einem Teil der Gesellschaft machen. Wir werden immer andersartig
sein und wir werden jeden davon überzeugen.“ Unsere Gesellschaft jedoch ist
erbarmungslos mit seinen Feinden, genauso wie in der Tierwelt. Wenn du nicht ins
Ökosystem passt wirst du unerbittlich ausgerottet. Oder, treffender ausgedrückt,
rehabilitiert, gerichtet oder genötigt, dich nach den Richtlinien der
Gesellschaft zu verhalten.
Auf jeden Fall ist eines klar: Es ist leichter, solche Sachen von Gott
richten zu lassen. Wenn er uns befiehlt zu töten, töten wir. Wenn er uns
befiehlt zu verdammen, verdammen wir. Wenn er uns befiehlt zu vergeben, vergeben
wir. Zumindest wissen wir dann, dass wir das Richtige tun im Namen Gottes. Und
wenn es doch falsch war...? Wie kann sich ein Gott irren? Und hat sich Gott
wirklich geirrt, so haben sich Millionen von anderen Menschen mit uns geirrt.
Nichtsdestotrotz können wir es in ein Geschichtsbuch schreiben und die nächste
Generation darüber diskutieren lassen.
Wenn wir unsere Gesellschaft nicht beeinflussen wollen, verweigern zu
diskutieren und nachzudenken, können wir immer noch daran glauben, dass alles
vom Schicksal abhängig ist, dass wir eh nichts ändern können. Oder wir
glauben einfach daran wiedergeboren zu werden. Wir sind nur Reisende, die diese
Welt passieren, um wiedergeboren zu werden, als eine bessere oder schlechtere
Person oder Sache, abhängig von unserem Verhalten. Das ist äußerst beängstigend
und gefährlich, weil das Leben an sich selbst keine Bedeutung mehr hat. Du
kannst es weggeben wie eine Spielmünze am Roulettetisch. Wenn du gewinnst,
wirst du reicher; wenn du verlierst, bekommst du vielleicht eine neue Chance im
nächsten Leben. Es spielt also keine Rolle.
Wie aber kann jemand mit Sicherheit vorhersagen, was aus uns wird, wenn
wir sterben? Mit welcher Begründung kann jemand behaupten, es gibt eine höhere
Ebene von Existenz? Niemand weis es genau, aber wir können daran glauben, genau
so wie kleine Kinder an Märchen, Riesen und Magier glauben. Und wie wundervoll:
Der Kreis ist geschlossen. Wir können für immer Kinder bleiben.
Also
warum nicht an Gott glauben?
Ende der Leseprobe!
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